Katastropheneinsatz des THW Lüdenscheid an der Elbe

Katastropheneinsatz des THW Lüdenscheid an der Elbe

Aufgrund der dramatischen Hochwasserlage im Süden und Osten der Bundesrepublik wurde die Ortsverbände im Landesverband NRW am 05.06.2013 in die Bereitschaftsstufe 1 versetzt.

Sofort begannen im Ortsverband Lüdenscheid alle Vorbereitungen für einen eventuellen Hochwassereinsatz. Taschen wurden gepackt und das Technische Gerät wurde erneut Überprüft.

Am Samstag, 08.06.2013, folgte in den Nachmittagsstunden der Einsatzbefehl.

Die Kreisleitstelle des Märkischen Kreises löste per digitalen Meldeempfänger den Einsatzalarm aus. 14 Einsatzkräfte des OV Lüdenscheid konnten aufgrund der guten Vorbereitung mit drei Einsatzfahrzeugen schnell nach Bielefeld ausrücken. In Bielefeld wurden die Mannschaften aus dem Ortsverbänden Altena, Balve, Dortmund, Hamm, Lüdenscheid, Lünen, Unna und Werne gesammelt. Nach einem kurzem Technischen Halt ging es für die 100 Mann starke Truppe im Marschverband in das Einsatzgebiet Jerichower Land.


Untergebracht wurden wir in einer Sporthalle in Parey, geschlafen wurde auf Feldbetten. Nach dem Aufbau der Feldbetten bis 04:00 Uhr morgens war den Helferinnen und Helfern des THW nur eine kurze Nachtruhe gegönnt. Bereits um 06:00 Uhr ging der THW Verband gemeinsam in den Einsatz.


Erster Einsatzort war die Gemeinde Jerichow. Die Hochwasserschutzanlage hatte sich aus der Verankerung gelöst. Es drohte ein Totalversagen der Hochwasserschutzanlage, mit der Folge, das Jerichow überschwemmt worden wäre.


Interessanter Weise befindet sich die Elbe normalerweise drei Kilometer von Jerichow entfernt. Daran konnten die Ausmaße der Überschwemmung verdeutlicht werden. Der Pegel steht hier einen halben Meter über der Marke von 2002.


In Jerichow galt es nun die Hochwasserschutzanlage mit Sandsäcken zu schützen,

Lücken in der Verteidigungsanlage zu schließen und ein Umspannwerk zu schützen, das für Jerichow wichtig für die Stromversorgung ist.


In einem angrenzenden Haus lief der Keller voll Wasser und drohte den Öltank aus der Verankerung zu reißen. Mit Sandsäcken und Tauchpumpen wurde versucht den Keller zu schützen, letztlich erfolglos. Der Öltank konnte aufgrund einer alten Gewölbedecke nicht mit Holz verkeilt werden, da die auftretenden Kräfte beim aufschwimmen des Tankes die Decke zum Einsturz hätte bringen können.


Nach stundenlanger harter Arbeit konnte die Lage stabilisiert werden. Der Notdeich hält, Jerichow bleibt trocken. Einsatzkräfte und Einwohner atmen vorerst auf.


Für die nächste Einsatzstelle werden die Kräfte aus den Ortverbänden Altena, Balve, Halver, Lüdenscheid und Unna zusammengestellt. Es geht Richtung Fischbeck.

Kurz vor Fischbeck sind bereits erste Anzeichen einer Unterspülung des Deiches zu sehen. Sickerwasser sprudelt aus mehreren Löcher. Werden die Sickerstellen nicht zum versiegen gebracht, droht akute Dammbruchgefahr.


Die Einsatzkräfte entscheiden sich mit Hunderten von Sandsäcken sogenannte Quellkaden zu bauen, in denen ein Gegendruck zum Sickerwasser erzeugt werden soll. So kann verhindert werden, das der Deich weiter ausgespült wird.


Während der Aktion steht das Elbewasser nur wenige Zentimeter unterhalb der Deichkrone. Hubschrauber der Bundeswehr und Bundespolizei fliegen im Minutentakt im Tiefflug über unsere Einsatzstelle. Sie bringen Bigpacks zu der gefährdeten Deichstelle in Fischbeck - nur rund 1,5KM von unserer Einsatzstelle entfernt. In der Nacht bricht der Deich bei Fischbeck auf 100m Länge ein - eine Fläche doppelt so groß wie der Bodensee wird nun überschwemmt.


In Folge des Deichbruch bei Fischbeck müssen über 20 Dörfer und Gemeinden evakuiert werden.


Im Dreischichtbetrieb reihen sich die Einsätze nun aneinander. Die OV´s Balve und Lüdenscheid bilden eine rund 30 Mann starke Truppe. In den kommenden Tagen haben wir die Frühschicht - Wecken um 02:30 Uhr in der Nacht, Frühstück um 03:00 Uhr, Abmarsch in den Einsatz um 03:30 Uhr.


Der Einsatzabschnitt Jerichow II wird uns in unserer ersten Frühschicht auf Trapp halten. Noch in der Nacht haben die Kameraden der Nachtschicht damit begonnen einen gefährdeten Deichabschnitt in Jerichow mit Sandsäcken, Folien und Drainagen zu sichern. Der Deich ist hier auf einer Länge von ca. 400m durchnässt und gefährdet damit den ganzen Ort.


Gemeinsam mit der Feuerwehr Jerichow und der Feuerwehr Bremen wird an der Deichverteidigung gearbeitet. Die Menschenketten, die gebildet werden müssen, um die Sandsäcke zum Deich zu transportieren werden immer länger. So lang, das die rund 150 Einsatzkräfte von Feuerwehr und THW nicht mehr ausreichen.


Der Bürgermeister von Jerichow startet einen Hilfeaufruf in den sozialen Medien.

Kurze Zeit später bereits reihen sich über 300 Freiwillige Helfer aus dem Umland in die Reihen der Einsatzkräfte ein. Gemeinsam gelingt es den Deich zu schützen.


Durch den Deichbruch bei Fischbeck werden alle verfügbaren Einheiten von "Jerichow II" abgezogen. Dem OV Lüdenscheid obliegt es nun, gemeinsam mit der Feuerwehr Bremen, den Deichabschnitt zu überwachen und das bereits eingedrungene Wasser abzupumpen, damit die hinter dem Deich liegenden Häuser geschützt werden.


Hierzu installiert die Feuerwehr Bremen mit Unterstützung der THW Kräfte eine 8000L/min Pumpe, die es schafft den Wasserpegel hinter dem Deich zu halten.

Die Schwierigkeit ist hierbei, nicht zuviel Wasser abzupumpen. Wird zuviel Wasser abgepumpt, fehlt der Gegendruck zum Elbewasser und der Deich könnte brechen.


Die Fachaufsicht übernimmt ein Deichverteidigungsexperte des OV Lüdenscheid, der mit seinem Team alle 30 Minuten den Pegelstand prüft und den Deich kontrolliert.

Ironie des Schicksals ist es, das der Deichbruch bei Fischbeck an der Einsatzstelle Jerichow II im Laufe des Tages zu einer Entlastung führt, da der Pegel des Elbwasser leicht sinkt.


Nach dem Deichbruch bei Fischbeck strömt das Wasser nun von hinten in Richtung Jerichow. Am Jerichower Kloster sammeln sich in der nächsten Schicht die Einsatzkräfte der Ortverbände Balve und Lüdenscheid. Es gilt die Fachgruppe Wasserschaden / Pumpen des OV Siegburg und die Feuerwehr Bremen beim aufbauen der Pumpenstrecken zu unterstützen.


Nach der fachkundigen Sichtung des Deichabschnitts werden die Wege für die Pumpenstrecken festgelegt. Ein 50 KVA Stromerzeuger wird in Stellung gebracht. Er versorgt die fünf vom THW installierten Tauchpumpen mit Strom. Mit einer aufgebauten Gesamtpumpleistung von über 25.000 Litern pro Minute gelingt es,

den Pegel im Hinterland leicht zu senken bzw. zu stabilisieren.


Die Koordination der Großschadenslage im Landkreis erweist sich als schwierig.

So kommt es vor, das Einsätze nicht nahtlos ineinander greifen. Dies verschafft den Einsatzkräften unseres Verbandes, und den mittlerweile 40 Feuerwehrkameraden aus Thüringen, die mit uns zusammen im Bereitstellungsraum Parey untergebracht sind, Pausen im Einsatzgeschehen. Die Pausen werden jedoch sinnvoll genutzt, um die Fahrzeuge zu warten, Gerät zu Prüfen und neue Kraft zu tanken.


Das Einsatzgeschehen verlagert sich nun von Jerichow nach Wust (Wust-Fischbeck). Der Bereitstellungsraum in Parey wird aufgelöst und wir rücken mit dem gesamten Verband nach Wust. Kurz vor Wust gehen wir in Bereitschaft. Die Fachgruppe Führung/Kommunikation (FK) aus Arnsberg beginnt mit der Erkundung des Ortes.


Der Ort Wust ist bereits zu großen teilen unter Wasser. Die Evakuierung der gesamten Ortschaft hat bereits begonnen und wird durch die Bundeswehr und das THW unterstützt.


Die Kommunikation erweist sich als Problem für die Einsatzkräfte. Das Telefon und Mobilfunknetz ist zusammengebrochen. Die Funkverbindungen sind schlecht. Eilig beginnt die Fachgruppe FK Antennen auf den höchsten Gebäuden von Wust zu installieren, um die Kommunikation der Einsatzkräfte zu verbessern. Gemeinsam mit Technikern der Telekom gelingt es, das Mobilfunknetz zu stabilisieren, so das eine eingeschränkte Kommunikation wieder möglich ist.


Die mitgeführten Technikkomponenten des THW Verbandes werden nach Wust verlegt. Stromerzeuger, Hochleistungspumpen, Lichtmaste und Powermoons werden in den Ort verlagert. Über Nacht werden die Geräte im Schichtbetrieb betrieben.


Die verbliebenden Einsatzkräfte, die sich kurz vor Wust in Bereitschaft befinden, werden Nachts wieder zurück in den bereits aufgelösten Bereitschaftsraum (BR) Parey geführt. Dort hatten die Kameraden aus Halver den BR bereits wieder aufgebaut, da eine angedachte Unterbringung im Feldlager der Bundeswehr nur schwer möglich war.


Durch den Einsatz von Feuerwehr, Bundeswehr und THW konnte die Lage in Wust soweit stabilisiert werden, das am folgenden Tag damit begonnen werden konnte die noch nicht überfluteten Straßen in Wust zu sichern.


Hierzu rückte der 100 Kräfte starke Verband des THW nach Wust vor.

Nach einer Erkundung der Lage bekam jeder Ortsverband mehrere Objekte zugeteilt,

die es zu schützen galt.


Die 14 Einsatzkräfte des Ortsverbandes Lüdenscheid hatten Einfamilienhäuser zu schützen. Nach der Erkundung der bereits evakuierten Häuser wurde eine Priorität der Einsatzmaßnahmen festgelegt.


Da das Wasser bereits bis in die Gärten der Häuser reichte, wurde als erstes die verbliebenden Tiere in Sicherheit gebracht. Hühner, ein Hund und sogar mehrere Truthähne wurden aus ihren Ställen befreit, damit diese die Möglichkeit haben sich in Sicherheit zu bringen. Der verbliebene Hund konnten Angehörigen des Hausbesitzers übergeben werden.


Die nächste Maßnahme betraf die Gasversorgung eines Gebäudes. Ein Fachkundiges Mitglied der Fachgruppe Infrastruktur des OV Lüdenscheid,

sperrte dazu die Hauptgasventile der Flüssigtanks und sicherte diese so weit wie Möglich.


Als schwierig erwies sich der Zugang zu einem Haus, das mit einem hohen, verschlossenen Tor, gesichert war. Die Einsatzkräfte entschlossen sich kurzerhand,

das gesamte Tor zu demontieren. So konnte der Schaden minimiert werden und das neuwertige Tor wurde nach Abschluss der Tätigkeiten wieder eingebaut.


Mittlerweile hatte das 7. Logistikbataillon der Panzerbrigade 21 der Bundeswehr (Glück-auf-Kaserne, Unna) damit begonnen unsere Einsatzstellen mit Sandsäcken zu beliefern. So verbauten die rund 100 THW Kräfte innerhalb weniger Stunden über 15.000 Sandsäcke. Mit den 15.000 Sandsäcken gelang es, die Häuser vor dem vorrückenden Wasser zu schützen. Türen, Fenster und Kellerschächte wurde fachgerecht mit Sandsäcken umbaut.


Mit Abschluss des Einsatzes in Wust endete der Einsatz der THW Ortsverbände des Geschäftsführerbereich Dortmund. Am folgenden Tag, nach einer Woche Einsatz, ging es für uns am Freitag Nachmittag zurück ins Sauerland.


Wir blicken auf eine ereignisreiche und anstrengende Woche im Hochwassergebiet zurück. Die Sonne und die vielen aggressiven Mücken haben uns das ein oder andere Leid gebracht. Mit Technik, einer guter Ausbildung und zuletzt Teamarbeit konnten wir der Bevölkerung im Landkreis Jerichower Land und Stendal zur Seite stehen und helfen.


Wir möchten uns an diese Stelle bei den Kameraden der Feuerwehr, der Polizei, der Bundespolizei, der Bundeswehr, der Sanitätseinheiten und den Kameraden der THW Ortsverbänden für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken.


Ein großer Dank gilt auch der Bevölkerung, die trotz der eigenen schwierigen Lage, mit angepackt hat. Man hat uns herzlich empfangen und immer wieder mit Verpflegung und der einen oder anderen Aufmunterung in Form von Eis, Gebäck und Erdbeeren versorgt.


Wir bedanken uns bei unseren Arbeitgebern, die viel Verständnis gezeigt

haben. Die Unterstützung der Arbeitgeber und der eigenen Familien hat maßgeblich zum Erfolg des Einsatzes des Technischen Hilfswerk im Katastrophengebiet beigetragen.


Lüdenscheid, 16.06.2013


Thomas Berger

Zugführer

Die Bilder


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